Erst 100 Jahre?

2018 feierte das Frauenwahlrecht 100 Jähriges Jubiläum in Deutschland. Denn am 12. November 1918 erklärte der Rat der Volksbeauftragten, dass zukünftig „alle Wahlen zu öffentlichen Körperschaften […] fortan nach dem gleichen, geheimen, direkten Wahlrecht auf Grund des proportionalen Wahlsystems für alle mindestens 20 Jahre alten männlichen und weiblichen Personen zu vollziehen [sind; K.W.]“. Damit etablierte sich erstmalig in der deutschen Geschichte ein Wahlrecht für die Frau.

Diesem Tag ging jedoch ein jahrzehntelanger Kampf der Frauenbewegung voraus, welcher oft durch das Ende des ersten Weltkrieges und die Novemberrevolution relativiert wird. Noch minder bedeutend werden Einzelstimmen in der Anfangsphase anerkannt. Solche, wie die von Louise Dittmar, welche erstmalig in der deutschen Geschichte an das weibliche Aufstehen für Mündigkeit und Selbstständigkeit appellierte. Oder die Stimme von Hedwig Dohm, welche konkret von einer allgemeinen Forderung des Stimmrechts für Frauen spricht und das Thema damit in die breite Öffentlichkeit verfrachtete. Einzelstimmen, ohne die ein Anstoß vermutlich erst Jahre später stattgefunden hätte. Von wegen bedeutungslos…

Es folgte die Phase der Organisation. Ab 1902 etablierten sich erste Fauenstimmrechtsverbände und zwei Jahre später der Weltverband für Frauenwahlrecht in Berlin. Spaltungen zeichneten die Bewegung, durch Uneinigkeiten, ob und welche Meilensteine akzeptabel sind, zum Beispiel die Einführung des Frauenwahlrechts auf kommunaler Ebene. Erst während des 1. Weltkrieges entwickelte sich eine breite Frauenkoalition, die ihre Forderungen geeinigt aufstellte und 1918 an den Kaiser heran trug. Für Akzente sorgten Demonstrationen in vielen deutschen Großstädten. Am Ende steht das Schlüsseldatum des 12. Novembers, an dem der Rat der Volksbeauftragten die Umsetzung nach einem nun schon jahrzehntelangen andauernden Kampf gewährleistete und damit die letzte Instanz einnahm.

Die Emanzipation betraf bald nicht mehr nur Deutschland und folgte in vielen anderen Weltstaaten, über deren Frauenwahlrechtlerinnen international wenig Allgemeinwissen herrscht. Um dieser Lücke entgegenzuwirken und um auf die eigene Landesgeschichte aufmerksam zu machen, haben Frauen mit Migrationshintergrund auf Grundlage einer Wanderausstellung über thüringische Kommunalpolitikerinnen und Frauenrechtlerinnen, anlässlich der 100 Jahre Frauenwahlrecht 2019, den Wunsch formuliert, auch selbst über bekannte Frauenrechtlerinnen aus dem eigenen Herkunftsland berichten zu wollen. So erfährt man zum Beispiel über Naziq al-Abid, welche als Revolutionärin für die nationale Unabhängigkeit im Sinne von Widerstand gegen die osmanische Besetzung Syriens und als Kämpferin für das Recht der Frauen, in Syrien arbeiten und wählen zu können, gilt. Ihr Leben ist weiterhin gezeichnet durch eine Verbannung aus ihrem Heimatland und einem Exilleben in Kairo.

Diese und weitere interessante Biografien in Form einer Schaufensterausstellung sind bis voraussichtlich 13.12. in Gotha, Arnstadt und Nordhausen zu besichtigen und umfassen neun Länder und deren Geschichte der Frauenbewegung.

Auch im 21. Jahrhundert sind Frauen auf internationaler Ebene im Sinne der politischen Mitbestimmung noch lange nicht vollständig oder überhaupt anteilig emanzipiert. Zu diesen Ländern zählen zum Beispiel Kuwait oder Afghanistan, wo das Wahlrecht durch häufige Machtwechsel zumindest erschwert vorhanden ist und immer wieder neu verhandelt wird. Und selbst ein genauer Blick nach Übersee macht deutlich, dass Wahlrecht nicht immer gleich Wahlrecht heißt.

Theoretisch besitzen US-amerikanische Staatsbürger*innen, die in einem der 50 Bundesstaaten wohnhaft sind und das 18. Lebensjahr beendet haben, das aktive Wahlrecht. Dennoch zeigte sich jüngst, dass in den USA lebenden Minderheiten die Wahl immer häufiger erschwert wird. Dies hängt damit zusammen, dass es in Amerika keine gesetzliche Melde- und Ausweispflicht gibt und man sich demzufolge in ein Wahlregister eintragen lassen muss. Zusätzlich ist jeder Bundesstaat eigenverantwortlich für die Ausformulierung der Wahlgesetze. In der Realität gibt es also Staaten, in der ein Identitätsnachweis in Form von Ausweis mit Bild, bei Weitem strenger ist, als in solchen, in denen ein Führerschein ohne Bild ausreicht. Oft ist die Fahrt zur nächsten Behörde für die Ausstellung eines Ausweises so weit, dass es alten Menschen oder denen, die nicht über die Mittel für weite Reisen verfügen, unmöglich gemacht wird, an einer Wahl teilzunehmen.

Besonders republikanisch geprägte Staaten wurden auch bei der aktuellen Wahl durch fragwürdige Regelungen auffällig. Die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) berichtete, das Wähler*innen sich nicht mit dem Studentenausweis registrieren lassen konnten, stattdessen aber mit einem Anglerausweis oder sogar einem der Waffenlobby NRA. Weiterhin gab es gehäuft Meldungen, dass stückweise Wahllokale in ärmeren Gebieten geschlossen werden. Ein Phänomen, was in erster Linie die Minderheiten blockiert. Laut dem Faktenfinder der Tagesschau zur US-Wahl konnten 2018 11 Millionen Wahlberechtigte Amerikaner*innen ihr Stimmrecht nicht ausüben. Weiterhin wurde in dem Bericht des „Office for Democratic Institutions and Human Rights“ zur Zwischenwahl 2018 vermerkt, dass ethnische Minderheiten bedeutend häufiger an der Durchführung ihres Wahlrechts gehemmt würden.

Es ist also wiederholt festzuhalten, das Recht, wählen zu gehen, genießt auch über 100 Jahre nach der Einführung des Frauenwahlrechts in Deutschland noch keine internationale Gleichberechtigung, auch wenn es in der Gesamtsituation häufig den Eindruck erweckt. Ob es nun nach jeder Amtszeit eines Machthabers neu verhandelt werden muss, man aus extern auferlegten erschwerten Bedingungen, als Frau oder auch Mann, nicht in der Lage ist, sich überhaupt für die Wahl registrieren zu lassen, oder ob im deutschen Bundestag der Frauenanteil wieder stark stagniert und mit 30,7 Prozent auf den Wert von 1998 zurückgefallen ist. Es bleibt ein Kampf, der jeden Tag neu geführt werden muss um die Gleichberechtigung in der Demokratie vorantreiben und erhalten zu können.

 

Die gesamte Ausstellung umfasst folgende Schaufenster und Stationen in Gotha-West mit verschiedenen Plakaten:

senfkorn.STADTteilMISSION am Coburger Platz 2 (Gebäude Aldi/Südseite)

L´amitié e. V. – Multikulturelles Zentrum Stadt und Landkreis Gotha, Humboldtstraße 95

Talisa – Thüringer Arbeitsloseninitiative – Soziale Arbeit e.V., Humboldtstraße 83

Stadtteilzentrum Gotha-West, Humboldtstraße 67

 

Quellen:

https://www.frauen-macht-politik.de/jubilaeum/

https://www.bpb.de/geschichte/deutsche-geschichte/frauenwahlrecht/278701/der-kampf-der-frauenbewegung-um-das-frauenwahlrecht

https://de.wikipedia.org/wiki/Frauenwahlrecht_in_Europa

https://en.wikipedia.org/wiki/Nazik_al-Abid

https://www.fr.de/politik/us-wahl-2020-donald-trump-joe-biden-usa-washington-diskriminierung-wahlrecht-usa-90061057.html