Bericht über das eigenständige Projekt unserer FSJlerin Verena Pohl:

Mein eigenständiges Projekt mit dem Titel „Jammer-Ossi und Besser-Wessi? – Vorurteile abbauen“ wurde vergangene Woche durchgeführt. Zusammen mit meiner FSJ-Kollegin habe ich das Projekt ein halbes Jahr lang geplant, vorbereitet und es am 16. Und 17. Mai zum Abschluss gebracht.

Die beiden Tage haben im Grenzlandmuseum Eichsfeld stattgefunden, wo alle Teilnehmer*innen zusammen ab Leinefelde hingefahren sind. Angekommen am Veranstaltungsort haben wir das Programm der beiden Tage vorgestellt und die anfängliche Distanz zwischen beiden Schulgruppen aus Neuss und Erfurt durch Kennenlernspiele überwunden. Bei der anschließenden Führung durch die Ausstellung im Museum, die von zwei Museumspädagog*innen begleitet wurde, konnten sich die Schüler*innen ein besseres Bild vom Leben an der ehemaligen Grenze machen und haben viel über den Aufbau der Grenze erfahren. Lina, eine Schülerin aus Neuss, war über den kilometerbreiten Grenzstreifen verwundert. Besonders erstaunt war sie über die Zwangsumsiedlungen in Folge des Baus. Andere Schüler*innen freuten sich, „Trabis“ auf dem Gelände zu entdecken.

Nach einer kurzen Kuchen- und Kaffeepause ging es dann mit einem Zeitzeugengespräch mit Klaus Wolf weiter. Dieser erzählte sehr lebendig und viel über seine Zeit in der DDR und wie er schließlich in den Westen kam. Er hatte bereits in jungen Jahren viel Kontakt zu Menschen aus dem Westen, da er als Touristenführer auf der Wartburg in Eisenach arbeitete und häufig Postkarten von Urlaubszielen aus ganz (West-)Europa bekommen hatte (jedenfalls die, die die Stasi nicht vorher abgefangen hat). Klaus Wolf stellte mit 18 Jahren, also in unserem Alter, mehrere Ausreiseanträge, um nach Westdeutschland zu kommen. Da diese nicht genehmigt wurden und er auch den Wehrdienst bei der Nationalen Volksarmee verweigern wollte (wofür er mindestens zwei Jahre Haft bekommen hätte) machte er etwas Unvorstellbares. Er kündigte beim Ministerium für Staatssicherheit in Eisenach eine Demonstration an. Unmittelbar darauf wurde er verhört, verhaftet und kam in die Haftanstalten Andreasstraße Erfurt und später nach Cottbus. Eine seiner ersten Erinnerungen ist die menschenunwürdige Unterbringung in einer 12-Mann-Zelle. Nach monatelanger Zwangsarbeit und psychischer Folter wurde er durch die Bundesrepublik Deutschland freigekauft und konnte so die DDR verlassen.

Im Anschluss an das Gespräch haben wir den Jugendlichen ein Video über Vorurteile gegenüber West- und Ostdeutschen gezeigt. Dieses Video haben wir selbst produziert und dafür Menschen in Neuss und Erfurt interviewt. (Hier einmal der Link zu unserem Video https://youtu.be/NkbD7Labq6Y)

Daran anknüpfend folgte eine Podiumsdiskussion mit Mirko Hempel, dem Leiter der FES-Thüringen und Diana Lehmann, Mitglied im Thüringer Landtag. Die beiden haben über das heutige Zusammenleben in Deutschland gesprochen und ihre Eindrücke aus der Wendezeit mit den Jugendlichen geteilt.

Zum Abschluss des ersten Tages durften wir Franziska Richter und Tim Eisenlohr bei uns begrüßen. Die beiden haben ein bisschen über Franziska Richters Buch „TRAUMaLAND. Wer wir sind und sein könnten: Identität & Zusammenhalt in Ost und West“ gesprochen. Zudem wurde die Biografie von Tim Eisenlohr näher vorgestellt, der sich, wie Klaus Wolf, gegen das System DDR stellte und in der Umweltbibliothek in Berlin aktiv war. Teil der Diskussion war der Kurzfilm „Die Kraft der wenigen“ (https://www.youtube.com/watch?v=eQI2eoEfjFM). Wie Jugendliche damals schon auf große Umweltprobleme in der DDR aufmerksam gemacht haben und was Gemeinsamkeiten und Unterschiede zur heutigen Fridays for Future zu tun hat, wird im Film eindrücklich dokumentiert.

Abschließend zum ersten Projekttag fuhren wir in die Unterkunft nach Duderstadt. Hier gab es noch mehr Austausch und gemeinsame Aktionen zwischen den „westdeutschen“ und „ostdeutschen“ Schüler*innen bei gemeinsamen Spielen und einer „Nachtwanderung“ durch die umligenden Felder.

Der folgende Projekttag startete gleich mit einer Führung über das Außengelände des Museums an der ehemaligen innerdeutschen Grenze entlang. Hierbei konnten die Jugendlichen auch in einen ehemaligen Grenzturm gehen und sich die „Grenzgegend“ von oben anschauen. Nach dem Mittagessen begaben sich die Schüler*innen schließlich in Kleingruppen und konnten im kleineren Kreis die Projekttage reflektieren und uns ein Feedback geben: Was hat sie überrascht? Was wünschen sie sich für die Zukunft?

Am frühen Nachmittag brachen wir dann alle gemeinsam wieder Richtung Leinefelder Bahnhof auf, von wo die Erfurter*innen in den Zug stiegen und die Neusser*innen noch 5 Stunden Busfahrt vor sich hatten.

Insgesamt kann ich sagen, dass diese Projekttage zu einem Austausch zwischen Jugendlichen aus West- und Ostdeutschland geführt haben. Die Schüler*innen sind vorurteilsfrei rein- und vielleicht sogar mit Freundschaften wieder rausgegangen. Zudem fanden es alle Beteiligten super, die Möglichkeit der Teilnahme an einem solchen Austausch zu haben. Für Projekte solcher Art (im Rahmen der Schule) sollte jedoch mehr Zeit und Geld vorhanden sein, um einen intensiveren und nachhaltigen Austausch zu ermöglichen.

Das Projekt ist im Rahmen des Freiwilligendienstes Politik bei der LKJ Thüringen entstanden.

[Fotos: Morten Melloh, Lina Wöhl] [VP]